Die Aufgabenkultur gewinnt durch den Hinweis auf
Komplexitätsgrad an Bedeutung. Eine einfache Aufgabe führt zu einer einfachen
Leistung, d.h. Lehrer/innen müssen zunächst sichern, dass Aufgaben entsprechend
komplexe Anforderungen stellen, um überhaupt die Komplexität der Leistung zu
bestimmen. Dabei verweist das Gesetz auf „Komplexitätsgrad“ für die Beurteilung
(siehe § 8 n SchOG, BGBl Nr. 242/1962 idF BGBl I Nr. 36/2012).
Webbs Modell ist eine Antwort darauf, wie man den Anspruch
von kompetenzorientierten Lehrplanforderungen einschätzt und in Folge geeignete
Aufgaben auswählt bzw. erstellt. Das daraus entstandene Werkzeug für die
Einschätzung von Komplexität nennt sich „Depth of Knowledge“ („Tiefe des
Wissens“) und ist in vier Bereiche gegliedert.

Webbs Werkzeug macht es möglich, den Komplexitätsgrad unter
Berücksichtigung der Handlungssituation, die eine Kompetenzaufgabe erzeugt, zu
bestimmen. Anders gesagt: Lehrpersonen können in zwei Phasen den kognitiven
Anspruch von Standards einschätzen („Kodierung“), um dann den Anspruch
geplanter Aufgaben einzuschätzen und diese in Einklang mit den Kompetenzzielen
zu bringen (Webb, 2007). Analysen der Lerndesigner/innen haben bisher gezeigt,
dass in Schulbüchern überwiegend Wiederholungsübungen angeboten werden, d.h.
Webb Bereiche 1 und 2.
Das DOK-Modell hat zwei Vorteile: Einerseits ist es auf
Basis von Aufgabenstellungen und Standardformulierungen im Zeitalter der
Kompetenzorientierung entstanden, andererseits ermöglicht es eine systematische
Bestimmung vom Komplexitätsgrad.
Der Fokus bleibt auf der Aufgabenstellung und der daraus
resultierenden Leistung. Aus diesen Gründen bietet es Lehrkräften ein
praktikables Werkzeug, um die Anforderungen ihrer Aufgabenstellung mit
Standards im Einklang zu bringen.
Einsatz: Im
Vorfeld des Unterrichts bei der Einschätzung des Kompetenzziels, der Auswahl
bzw. der Erstellung von Aufgaben.
Exkurs: Schwierigkeit vs. Komplexität
Komplexität als Fachbegriff im Schulwesen bezieht sich auf
kognitiven Anspruch:
· Die Art und Komplexität des Denkens, die von
Schülerinnen/Schülern verlangt wird, um eine Aufgabe erfolgreich zu lösen.
· Die Art und Weise wie Schüler/innen sich mit den
Inhalten auseinandersetzen
Webbs Modell orientiert sich an Komplexität, nicht
Schwierigkeit. „Schwierigkeit“ als Fachbegriff bezieht sich auf die Häufigkeit
von korrekten Antworten zu einer Frage, z.B.: Wenn viele Prüflinge die Frage,
„Was bedeutet ‚unklar‘?“ beantworten können, ist sie leicht. Wenn wenig eine
Antwort für „Was bedeutet ‚Ambiguitätstoleranz‘?“ parat haben, ist die Frage
schwierig. In beiden Fällen ist allerdings die kognitive Leistung die Gleiche –
Begriffe wiedergeben, d.h. Bereich 1.
Zunehmender Schwierigkeitsgrad in einfacheren Aufgaben
bildet Differenz, die insbesondere in Tempo sichtbar wird. Dies passiert
weniger bei Aufgaben mit komplexeren Ansprüchen, weil zunächst alle denken
müssen. Die Devise lautet: Einfache Aufgaben führen zu einfachen Leistungen,
komplexe Aufgaben zu komplexen Leistungen. Unterschiede in Schwierigkeitsgrad
dienen nicht der Bestimmung des Komplexitätsgrads und vor allem nicht der
Bildungsqualität. Die Herausforderung in der Praxis ist entsprechend den
Anforderungen der Schulstufe anspruchsvolle, d.h. komplexe, Aufgaben zu stellen
(etwa wie „Argumentieren“ in Deutsch oder Mathematik).
Exkurs: Sind komplexe Aufgaben für alle?
Die kurze Antwort lautet: Ja!
Es ist nicht nur fragwürdig im Hinblick auf Gerechtigkeit,
sondern auch rechtlich nicht zulässig, das Leistungspotential von Schülerinnen/Schülern
durch die Zuteilung von unterschiedlichen Aufgaben vorwegzunehmen bzw. eine
Person vorweg als „weniger oder mehr begabt“ zu etikettieren.
Der Krux des Paradigmenwechsels in dieser Lehr- und
Lernkultur liegt darin, dass sich alle mit komplexen Aufgaben
auseinandersetzen, damit ihnen selbst und der Lehrperson ihr volles
Leistungspotential sichtbar gemacht wird. Zuweisungen von Aufgabenstellungen
dürfen nicht auf Grund von Prognosen über das Leistungsvermögen einer Schülerin
/eines Schülers getroffen werden und die Zuweisung von Schülerinnen/Schülern in
„homogene“ Gruppen ist unzulässig.
Wenn nicht alle im Rahmen von Lern- und Lehrprozessen mit
komplexen fachspezifischen Aufgaben konfrontiert werden,
a. haben sie keine Chance, ihre Fähigkeiten bei
komplexen bzw. herausfordernden Aufgabenstellen weiter zu entwickeln bzw. zu
beweisen, und
b. gibt es in den Aufzeichnungen keine Grundlage
für eine Beurteilung nach allen Beurteilungsstufen der LBVO.
Bereits die Beurteilungsstufen selbst stellen einen hohen
Anspruch hinsichtlich Vertiefung bei den Faktoren eigenständige Anwendung und
Wesentlichkeit in einem Fach dar. Reproduktive Aufgaben, die einen einfachen
kognitiven Anspruch stellen (Webb-Bereich 1), schränken die
Leistungsentwicklung sowie die Leistungsfeststellungen als Basis für die
Ermittlung der Note auf ein „Genügend“ ein.